Schlafen kann man, wenn man tot ist, das war schon immer Lenas Devise. Denn jetzt gab es zu viele Dinge, die sie erleben und nicht verpassen wollte. Sie wollte in die Großstadt ziehen, seit sie die Strecke von einem Ende des Dorfes zum anderen mit dem Fahrrad in zehn Minuten zurücklegen konnte. Damals war sie fünf Jahre alt.
Der Gedanke, im Rausch der Stadt unterzugehen und zu lernen, in ihm zu schwimmen – mal gegen und mal mit dem Strom – hatte sie durch die Schulzeit gebracht. Der langersehnte Abschluss war schließlich ihr Ticket, ihre Fahrkarte. Alles war neu, als sie in das kleine Zimmer der Fünfer-WG im dritten Stock der etwas heruntergekommenen Altbauwohnung einzog. So manches Mal dachte sie an den Sprungturm im Freibad, auf den sie in regelmäßigen Abständen geklettert war, nur um beim Anblick des türkis glitzernden Wassers auf zitternden Beinen Kehrt zu machen. Doch jetzt war alles anders: Sie sah keinen Boden, doch sie sprang kopfüber in ein Meer von Lichtern, Menschen und Möglichkeiten.